[12. Dezember 2018] Offener Brief an OB Boris Palmer + Antwort
Lina Luft says..
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Vorneweg:
Der Brief hatte die Zerstörung der Derendinger Baumhaussiedlung vom 3. Dezember 2018 zur Gundlage.
Einem Augenzeugen zufolge wurde die Baumhaussieldung von einem städtischen Baumkletterteam abgerissen. Die Umstände sind jedoch nicht komplett geklärt. Falls es Hinweise gibt, so würde ich mich dafür interessieren.
Kontakt: mail@linaluft.org
Hier findest du Fotos von einem der Baumhäuser vor der Zerstörung, sowie Fotos des Geländes nach der Zerstörung:
before_the_eviction1.jpg
before_the_eviction2.jpg
before_the_eviction3.jpg
after_the_eviction1.jpg
after_the_eviction2.jpg
after_the_eviction3.jpg
Gesendet: Dienstag, 11. Dezember 2018 14:19
An: Palmer, Boris, Universitätsstadt Tübingen
Betreff: Offener Brief an Boris Palmer / Bürgeridialog
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Ich bitte um Dialog – ich bin kein Freund von Anfeindungen.
Lieber Boris Palmer,
ich richte mich an Sie, da ich der Ansicht bin, dass eine direkte offene Kommunikation immer noch
das beste Mittel ist um Konflikte im Einklang lösen zu können. Die Intension dieses Briefes
ist es einen offenen Diskurs über die politische Lage dieser Stadt anzustoßen. Wissen Sie,
ich bin ein Fußgänger, der viel durch Tübingen spaziert. Ich würde mich der Umwelt- und
Friedensbasis zuordnen.
Als ich vergangene Woche einmal wieder über die Derendinger Felder spaziert bin, da dachte ich mir…
„Ach schau doch mal nach, was denn so bei dieser Baumhaussiedlung los ist, von der men ab und
zu hört.”
Ja, nix war da los. Baumhaussiedlung war weg. Trümmerhaufen. Alles kaputtgesägt. Irgendwie wehgetan
hat das tief drinnen im Herzen. Ich spürte, wie in den folgenden Tagen ein beklemmendes Gefühl
durch Tübingen raste. Die Menschen, denen ich auf meinen Wegen begegnete reagierten sichtlich
irritiert.
Diese Baumhaussiedlung, von irgendwelchen Jugendlichen erbaut, in direkter Innenstadtnähe gelegen?
Ein Ort, der jungen Stadtmenschen einen grünen Treffpunkt geboten hat – wegrasiert von einer
grünen Stadtverwaltung?
Ich hörte mich beim weiteren spazieren etwas um: Es sollen wohl Menschen mit Kettensägen gewesen
sein, die da am Werk waren. Die Stadtverwaltung? Vielleicht war es ja nicht die Stadt… ich
konnte es erst nicht glauben. Ist dies tatsächlich tübinger Grünenpolitik?
(Falls diese Gewalttat, bei der Menschen mit Kettensägen einen mit Friedenssymbolen behangenen
Jugendtreff eingestampft haben nicht von der Stadt vollführt wurde, dann bitte ich die Stadt
um Verzeihung wegen dieser Annahme und gleichzeitig darum aufzuklären, warum Menschen privat
mit Kettensägen bewaffnet Baumhäuser gewaltsam roden)
Mensch dachte ich mir da, das wird die Jugend in Tübingen bestimmt freuen. Noch ein Rückzugsort
weniger.
Welch eine Kommunikation: Kettensägen gegen grüne Treffpunkte von Jugendlichen. Und dies parallel zu
einer Besetzung (Kupferbau), bei der es auch um das Abwenden von militärischer Forschung in
dieser Stadt geht. Welch ein politisches Feingefühl. Spüren Sie, welche Signale hier gesandt
werden? Dies spitzt Konflikte zu!
Eine offensichtliche und intuitive Kommunikation hätte beispielsweise eine direkte, offene
Kontaktaufnahme mit den beteiligten Menschen sein können. Z. B. „Liebe Jugendliche – es gibt
bauliche Auflagen für so etwas… das, was ihr da gemacht habt ist nicht so zu 100% legal… können
wir nicht gemeinsam in Zusammenarbeit mit der Stadt einen solchen Freiraum einrichten? ”
(Falls Sie dies getan haben, dann bitte ich um Verzeihung dieser Annahme)
Doch ein Dialog scheint in Ihren “demokratischen” Denksphären nicht das Mittel der Wahl im Umgang mit
jungen Freigeistern zu sein. Kettensägen schon eher.
Nur weil eine Räumung juristisch rechtens ist, ist sie nicht automatisch auch legitim. So etwas haben
“Grüne” vor 40 Jahren auch mal verstanden.
Oder wie würden Sie sich fühlen, wenn irgendwelche Menschen mit Kettensägen bewaffnet den Rathausplatz
samt Brunnen und Rathausuhr zerraspelt hätten??? Mensch Boris, fühlen Sie mal etwas in sich hinein
und denken darüber nach...
Herr Palmer, es kommt mir leider so vor, so ungern ich das sage, als hätten Sie spätestens in den
letzten Monaten etwas die Bindung zu den Menschen in Ihrer Stadt verloren. Sie betreiben eine
Politik, die zumindest bei einer ökologisch orientierten Basis völlig befremdlich ankommt. Ich
frage mich, ob Sie bedenken, was solche Maßnahmen nach sich ziehen. Haben Sie sich 1x in die
Jugend ihrer Stadt hineinversetzt? Wissen Sie noch, was grüne Politik bedeutet? Wie stellen Sie
sich grüne Politik vor?
Sie haben mehrfach bewiesen, dass sie sehr Laut in der überregionalen Politik auftreten können…
Grüne Politik würde beispielsweise bedeuten eine Stimme in der Umweltbewegung zu sein und NICHT eine
Ende-Gelände Aktionsgruppe über Facebook-Kommentare an die AFD auszuliefern!
Sie machen hier (LEIDER) sehr klar: Sie sind nicht Teil der Umweltbewegung, Sie fallen dieser in den
Rücken.
Als Sie die Tage an mir vorbeigelaufen sind, ich war gerade dabei durch Tübingen zu spazieren, da wollte
eine mir Bekannte Person ihnen etwas Unfreundliches hinterherrufen. Wissen Sie ich bin kein Freund
von Beleidigungen und ich habe diese Person auch davon abgehalten, denn ich denke, dass Sie sowieso
schon täglich in den Straßen beschimpft werden – und sowas tut nicht gut.
Ja, ich finde einen solchen Umgang daneben. Ich finde es auch daneben, wenn irgendwelche (nicht
identifizierte) Menschen „Burn Cops not Coal” irgendwo hinschreiben. Ich finde es allerderings auch
daneben, dass junge Menschen von „Cops” in Kerpen hinter Gittern gefoltert (Ja, Folter) werden.
Solche Dinge führen zu Wut. Hätten Sie noch einen intakten Draht zur Umweltbewegung, dann wüssten
Sie um solche Dinge.
In dieser Situation kann men offen kommunizieren und den Dialog suchen oder eben diffamieren. Ich führe
lieber Dialoge, deshalb schreibe ich Ihnen hier direkt.
Wenn Sie also in den Straßen beschimpft werden, dann zeigt dies den Frust, den die Menschen haben, wenn
beispielsweise ihre Öko-Projekte von einem “Grünen”-Vertreter eingestampft werden.
Bitte hören Sie: Wenn men der Jugend einen Schutthaufen vor die Nase setzt, dann ist dies eine Art der
Kommunikation die Dinge wie Beleidigungen und Besetzungen nach sich ziehen. Die Menschen besetzen
ja keine Gebäude, weil es mal gerade Spaß macht, hier wird auf Symptome hingewiesen.
Sie sollten Ihrer Handlungen und Kommunikation bewusst sein – auch außerhalb und innerhalb von Facebook.
Dies ist keine Drohung – ich bin nur ein Spaziergänger – dies ist eine Beobachtung. Ich habe keinen
Einfluss auf die Handlungen der Menschen. Das was ich lediglich beobachte ist, dass Sie eine Jugend
vor sich sitzen haben, die sich folgende Frage für ihre Zukunft täglich stellen muss:
„Ökozid und wirtschaftlicher Systemkollaps? Oder: Umbau des Systems mit einer kleinen Aussicht auf Zukunft?”
- Wenn sich die Jugend für den Ökozid entscheidet und im Bezug auf den wirtschaftlichen Systemkollaps die
Scheuklappen aufsetzt, so passt das für die gängige “Grünen”-Politik, denn wer nicht wirklich was
ändert, stört auch nicht.
- Wenn sich die Jugend für einen grundlegenden Systemumbau („System Change” - hier ist keine Rede von
Revolte) entscheidet, dann kommen Menschen wie Sie und rücken beispielsweise eine Fraktion der
Öko-Basis wie die Ende-Gelände Gruppe in terroristische („RAF”) nähe.
Diese Menschen tun einfach nur die Arbeit, die Sie versäumt haben zu erledigen: Diese Menschen haben
verstanden, dass es eines Systemwechsels bedarf um beispielsweise einen Ökozid abzuwenden. Der
Systemkollaps, ob im ökologischen oder im ökonomischen Kontext kommt in diesem Kapital-istischen
System von ganz alleine. Folglich benötigt auch die Umweltpolitik einen grundlegenden Systemumbau!
Wenn wir jetzt handeln, können schlimmste Verwerfungen noch abgepuffert werden. Doch dies bedarf
eines wirklich ernsten Umdenkens. Dies tun auch Sie eben überhaupt nicht und halten deshalb junge
Menschen, die dies fordern für weltfremd oder „Links extrem”.
Forderungen für einen Systemwandel sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, nur verweigert
sich die etablierte Politik vehement dieser Einsicht. Ich habe das Gefühl Sie merken nicht vor
welchen Trümmerhaufen die Jugend steht – und ich rede hier nicht nur von 3 Baumhäusern/Hütten und ein
paar Facebook-Kommentaren…
Wenn Sie sich jetzt wundern und mit mir reden möchten, ja das können Sie gerne tun, ich bin Demokrat, ich
liebe den Diskurs. Dennoch glaube ich eher, dass Sie ganz allgemein mit Ihren Mitmenschen in einen
viel aktiveren Diskurs treten sollten; den Draht, den Sie verloren haben wieder suchen gehen sollten.
Ich bin nur ein tübinger Fußgänger der beobachtet. In der Schule lernte ich einmal, dass Reden die
Grundlage unserer Demokratie sei. Ich glaube zwar nicht, dass wir momentan in einer echten Demokratie
leben aber ich glaube an demokratische Werte. Überdenken Sie bitte ihre politisch-demokratische
Kommunikation.
Deshalb bitte ich Sie nur um zwei Dinge:
1) Seien Sie Demokrat und führen Sie eine direkte, offene Kommunikation:
Fühlen Sie sich 1x ernsthaft in die
Jugend hinein und reden Sie statt über lieber mit dieser: Richten Sie z. B. ein regelmäßiges
Bürgeri 1 -Forum ein und laden aktiv Vertreteris der Bewegungen ein, satt diese auf Facebook mit falschen
Behauptungen zu diffamieren. Wenn Menschen spüren, dass sie ernst genommen werden, dann reden sie auch.
2) Stellen Sie die Systemfrage:
Hinterfragen Sie 1x ernsthaft ergebnisoffen, ob sich unsere gesellschaftlichen
und ökologischen Zusammenbrüche tatsächlich innerhalb des momentan vorherrschenden Kapital-istischen
Systems abwenden lassen. Lesen sie z. B. mal Bernd Senf zu diesem Thema.
:*
Lieben Gruß von einem Umwelt- und Friedensaktivisten, der gerne durch Tübingen spaziert,
Hagen :)
1 Ich verwende in diesem Brief die “Genderneutrale Grammatik”
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Gesendet: Dienstag, 11. Dezember 2018 15:51
An: Ritter, Hagen
Betreff: AW: Offener Brief an Boris Palmer / Bürgeridialog
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Sehr geehrter Herr Ritter,
vielen Dank für Ihren offenen Brief, den ich gerne beantworte.
Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt mit dem Baumhaus ist mir unbekannt. Wenn Sie mir eine
genaue Adresse zukommen lassen, kann ich dem gerne nachgehen.
Die Systemfrage stelle ich weiterhin nicht. Aus meiner Sicht kann die Systemfrage noch warten,
denn es gibt derzeit keine wirklich guten Antworten auf diese Frage.
Heute produziert die soziale Marktwirtschaft nach meiner Auffassung bessere Ergebnisse als alle
anderen Systeme. Nicht warten kann der Klimawandel.
Wir müssen ihn im System aufhalten und nicht unsere Kraft der Umweltbewegung im Kampf gegen das
System verschleißen.
Aus diesem Grund bin ich auch so entschieden dagegen aufgetreten, dass linksextreme Gruppierung
den Aufruf zum Verbrennen von Polizisten in den Kontext von Demonstrationen gegen
den Abbau von Kohle stellen. Hier würde ich mir eine klare Distanzierung aller Umweltbewegten
wünschen. Dann würden auch keine Anfragen der AfD entstehen.
Und nur um diese klare Trennung geht es mir. Ich halte es für das Anliegen des Umweltschutzes
für schädlich, wenn da Leute mit marschieren, die Gewalt für ein legitimes Mittel halten.
Mit freundlichen Grüßen
Boris Palmer
Oberbürgermeister
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Gesendet: Mittwoch, 12. Dezember 2018 08:49
An: Palmer, Boris, Universitätsstadt Tübingen
Betreff: Re: AW: Offener Brief an Boris Palmer / Bürgeridialog
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Hallo Herr Palmer,
vielen Danke für Ihre sehr schnelle Antwort!
Bezüglich der Baumhäuser:
Hier die Koordianten wo diese standen: 48.50417, 9.04172
Hier 2 Fotos von einem der Baumhäuser (vor, sowie nach dem Abriss - vermutlich am 3. Dezember):
http://linaluft.org/vorher_kl.jpg
http://linaluft.org/nachher_kl.jpg
Bezüglich der Systemfrage: Dies ist natürlich ihre ganz private Entscheidung, die ich respektiere. Falls Sie doch mal nach Antworten auf diese Frage suchen sollten. Christian Felber und die Gemeinwohlökonomie könnte ein Einstieg in die Suche nach Alternativen sein.
[...]
Lieben Gruß, Hagen Ritter
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Gesendet: Freitag, 14. Dezember 2018 10:47
An: Ritter, Hagen
Betreff: Baumhäuser
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Guten Tag,
es tut mir Leid, die Stadt hat mit den Baumhäusern nichts zu tun. Es gibt darüber keine Informationen.
Offenbar war das eine private Maßnahme.
Mit freundlichen Grüßen
Boris Palmer
Oberbürgermeister
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Die Veröffentlichung der Nachrichten erfolgte im Einverständnis Boris Palmers.
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